Die Kursleiter und Lehrer der EMG stellen sich vor

Dr. Ursula Heindrichs(+) (1928-2024)
Ehemalige Präsidentin und Kursleiterin (Verstorben am 3.1. 2024)
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Dr. Ursula Heindrichs(+) (1928-2024)
 
Vita

Die langjährige Präsidentin der Europäischen Märchengesellschaft e.V., Kuratoriumsmitglied der Märchenstiftung Walter Kahn und Preisträgerin des Europäischen Märchenpreises der Märchenstiftung Walter Kahn Dr. Ursula Heindrichs ist am 03.01.2024 im Alter von 95 Jahren von uns gegangen. Mit ihr betrauert die Märchenwelt eine hoch engagierte und fachlich fundierte Märchenbotschafterin und einen wunderbaren Menschen.

Das Leben von Ursula Heindrichs ist durchzogen von einem Wirken für das Märchen. Geboren am 03.07.28 in Gelsenkirchen, studierte sie Deutsch, Geschichte, Philosophie und Pädagogik. Ihre Dissertation erschien - noch unter ihrem Mädchennamen Ursula Wiegers – 1957: „Der Brunnen in der deutschen Dichtung. Eine motivgeschichtliche Untersuchung.“ Nach der Dissertation sowie dem Zweiten Staatsexamen war Ursula Heindrichs mit Leib und Seele als Lehrerin am Unesco-Gymnasium Ricarda-Huch in Gelsenkirchen tätig, zuletzt als Studiendirektorin in den Fächern Deutsch und Geschichte.

Ihre Forschungsschwerpunkte Aktualität des Märchens, Märchen in der Schule einschließlich der gymnasialen Oberstufe sowie Märchen in der neueren deutschen Literatur schlagen sich in vielfältigen Artikeln, Vorträgen und Seminaren wieder. Einen umfassenden Überblick über ihre Beschäftigung mit Märchen bietet der Sammelband „Es war einmal – es wird eines Tages sein. Zur Aktualität der Volksmärchen“, erschienen 2001 im Schneiderverlag Hohengehren als Dankesgabe der Europäischen Märchengesellschaft e.V. für ihre aus dem Amt scheidende Präsidentin. Dieser Band bildet die Bandbreite ihrer Auseinandersetzung mit Märchenthemen ab; sie reichen von thematischen Einzelanalysen bis hin zu den ihr so am Herzen liegenden märchenpädagogischen Aspekten für die Oberstufe und der „verborgenen Anwesenheit des Märchens in der neueren Dichtung“. Jeder einzelne Artikel zeigt deutlich, wie fachlich und wissenschaftlich fundiert ihre Analysen sind. Darüber hinaus ist der Band ein Zeugnis dafür, wie sprachlich genau und fein geschliffen ihre Ausdrucksweise ist.

Ursula Heindrichs setzte sich intensiv für das Märchen ein, war seit der Gründung 1985 bis 2001 Mitglied des Kuratoriums der Märchenstiftung Walter Kahn, 1982-1989 Vizepräsidentin und 1989-2001 Präsidentin der Europäischen Märchengesellschaft e.V. Anschließend blieb sie bis zu ihrem Tod aufgrund ihrer großen Verdienste Ehrenpräsidentin der EMG. 2001 wurde ihr zusammen mit ihrem Ehemann Prof. Heinz-Albert Heindrichs der Europäische Märchenpreis der Märchenstiftung Walter Kahn verliehen.

Im Rahmen ihres ehrenamtlichen Engagements als Vizepräsidentin bzw. Präsidentin der EMG hat sie zusammen mit ihrem Ehemann viele Kongresse ausgerichtet und die daraus resultierenden Veröffentlichungen der EMG mit herausgegeben. Dabei verstand sie es immer wieder, auch internationale Märchenforscherinnen und Märchenforscher mit Beiträgen zu gewinnen. Diese Kongresse haben sich den „großen“ Themen gewidmet wie „Die Zeit im Märchen“ (1987), „Tod und Wandel im Märchen“ (1989), „Märchen und Schöpfung“ (1992), „Das Märchen und die Künste“ (1995), „Zauber Märchen“ (1997), „Alter und Weisheit im Märchen“ (1999), „Märchen als Brücke für Menschen und Kulturen“ (2010). Wer Ursula Heindrichs erleben und kennenlernen durfte, weiß, dass all dieses Wirken für die Märchen vom Miteinander mit dem Schaffen ihres Mannes Heinz-Albert Heindrichs lebte und untrennbar damit verbunden war. Unvergessen ist der Vortrag, den die beiden zusammen 2014 auf dem Kongress der EMG „Sehnsucht im Märchen“ gemeinsam gehalten haben: „Es war als hätt‘ der Himmel …“ – Von Sehnsucht und Liebe in Sprache, Musik und neuerer Literatur.

Neben dem explizit märchenbezogenem Engagement war Ursula Heindrichs auch noch auf anderen Feldern aktiv: Von 1993 bis 2001 war sie Kuratoriumsmitglied der Associazone Culturale Italo-Tedesca, 1982 gründete sie die Gesellschaft zur Rettung der Poesie im Unsinn und 1991 stiftete sie den Gingko-Preis zur Förderung literarischer Arbeiten von Schülerinnen und Schülern.

Darüber hinaus erhielt sie für ihr umfassendes Engagement 1992 den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen und 1998 das Bundesverdienstkreuz I. Klasse. Die unermüdliche und fundierte Auseinandersetzung mit Märchen, immer in Zusammenarbeit mit ihrem Mann, führte das Ehepaar Heindrichs auch weit über die Grenzen Deutschlands hinaus, besonders nach Italien, so dass sie viele internationale Kontakte knüpfen konnten. Die Kongresse, die Ursula Heindrichs zusammen mit ihrem Mann für die EMG ausgerichtet hat sowie die sich daraus ergebenden Jahresgaben zeugen von ihrem unermüdlichen Engagement und ihrem tiefen Märchenwissen. Für Ursula Heindrichs geht es in der Auseinandersetzung mit Märchen immer darum, die Aktualität für uns heute zu vergegenwärtigen und zu verdeutlichen. “Es war einmal, es wird eines Tages sein, das ist aller Märchen Anfang.” Dieser Anfang eines bretonischen Märchens, den sie so gerne und oft zitiert hat, bringt ihr Anliegen ins Bild: Die Märchen so “für die Gegenwart zu aktivieren”, dass sie “Zukunft, menschliche Zukunft” möglich erscheinen lassen. In diesem Sinn hat Ursula Heindrichs viele wichtige Impulse geliefert, und dafür ist die Märchenwelt ihr zu großem Dank verpflichtet.

Alle, die sie kennengelernt haben, werden sie schmerzlich vermissen und in guter Erinnerung behalten. Sie geht nun andere Wege: „‘Wohin gehen wir? Immer nach Hause!‘ (Novalis) […] Ihr reiches, glückliches Leben mündet nun in die ewige Heimat.“ (Aus dem Totenbrief)

Sabine Lutkat (EMG-Präsidentin)